VGH BW zur Pflicht von Umlandgemeinden, sich an Kosten einer Schulsanierung zu beteiligen

Der VGH BW hat mit einem Grundsatzurteil vom 6.12.2022 (9 S 3232/21) in zweiter Instanz die Rechtmäßigkeit von Bescheiden des Kultusministeriums, mit denen dieses sechs Gemeinden (Klägerinnen) verpflichtet hat, mit der Stadt Geislingen (Beigeladene) eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung über die finanzielle Beteiligung an den Kosten der Generalsanierung einer Realschule in Geislingen abzuschließen, bestätigt.
Die Beigeladene ist Schulträgerin der Realschule, die zu einem erheblichen Anteil auch von auswärtigen Schülerinnen und Schülern besucht wird, die im Gemeindegebiet der Klägerinnen wohnen. In der Zeit von 2013 bis 2016 führte die Beigeladene eine bereits seit etwa 2009 geplante Generalsanierung der Schule durch, deren Gesamtkosten sich auf 3.624.013,99 € beliefen. Nachdem die Klägerinnen zu einer freiwilligen Beteiligung an den Kosten nicht bereit waren, beantragte der Oberbürgermeister der Beigeladenen beim Kultusministerium auf der Grundlage des § 31 Abs. 1 Satz 2 SchG die Feststellung des „dringenden öffentlichen Bedürfnisses“ zum Abschluss einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung über die Beteiligung an den Kosten der Generalsanierung. Einen entsprechenden Bescheid des Kultusministeriums aus dem Jahr 2014 hob das Verwaltungsgericht Stuttgart aus formellen Gründen auf. Nach erneuter Antragstellung stellte das Kultusministerium mit Bescheiden jeweils vom 18. Februar 2019 das „dringende öffentliche Bedürfnis zum Abschluss einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung“ für die Generalsanierung der Realschule gegenüber der Beigeladenen und den Klägerinnen fest. Die hiergegen von den Klägerinnen erhobene Klage blieb auch vor dem VGH BW ohne Erfolg.
Zur Begründung seines Urteils führt der 9. Senat des VGH aus: Rechtsgrundlage der angefochtenen Bescheide sei § 31 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 SchG. Danach seien Gemeinden zur gemeinsamen Erfüllung der ihnen als Schulträger obliegenden Aufgaben zum Abschluss einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung verpflichtet, wenn die oberste Schulaufsichtsbehörde feststelle, dass ein dringendes öffentliches Bedürfnis hierfür bestehe. Mit der Feststellung des dringenden öffentlichen Bedürfnisses stehe fest, dass sich die nicht selbst mit der Einrichtung und Fortführung einer Schule belasteten Umlandgemeinden an der Erfüllung der Schulträgeraufgaben durch die Schulstandortgemeinde (finanziell) zu beteiligen hätten. Die Vorschrift sei nicht nur auf Neubaumaßnahmen, sondern auch auf die Generalsanierung eines bestehenden Schulgebäudes anwendbar.
Ein „dringendes öffentliches Bedürfnis“ liege vor. Maßgebliche Voraussetzung für die „Dringlichkeit“ im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SchG sei, dass es der Schulstandortgemeinde nicht zumutbar sein dürfe, die Lasten der Schulträgerschaft allein zu tragen. Dies sei bezogen auf die konkrete Schule als öffentliche Einrichtung der Gemeinde unter Beachtung der verfassungs- und kommunalrechtlichen Vorgaben wertend zu ermitteln. Danach gebiete es der Grundgedanke der äquivalenten Lastenverteilung und des Vorteilsausgleichs in der Regel, dass sich die entlasteten Umlandgemeinden angemessen an den zusätzlichen Lasten der Schul-standortgemeinde beteiligten. Zusätzliche Lasten seien dabei jene Lasten, die unter Abzug der konkret gewährten Mittel aus dem kommunalen Finanzausgleich, der sonstigen Zuschüsse (z.B. Schulbauförderung, Denkmalschutz usw.) und eines Standortvorteils von 5 bis 15 % der Gesamtbaukosten für die konkrete Maßnahme anfielen und den auswärtigen Schülern zugerechnet werden könnten.
Danach sei es der Beigeladenen nicht zumutbar, die ungedeckten auf die auswärtigen Schüler entfallenden Kosten der Generalsanierung der Realschule allein zu tragen. Sie habe in der Vergangenheit durch die Unterhaltung dieser Schule die Schulbedürfnisse der Klägerinnen in erheblichem Umfang und nicht nur vorübergehend erfüllt. Der Anteil auswärtiger Schüler habe in den Schuljahren 2005/2006 bis 2015/2016 stets über 50 % gelegen. Zwar habe sich der Auswärtigenanteil ab dem Schuljahr 2016/2017 bis zum Schuljahr 2018/2019 auf 41,7 % reduziert. Dieser Anteil dokumentiere aber zum maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Verfügungen immer noch eine „erhebliche“ bzw. „wesentliche“ überörtliche Bedeutung der Realschule. Die ungedeckten Investitionskosten, die auf die auswärtigen Schülerinnen und Schüler entfielen, beliefen sich auf 158.267,44 € und fielen damit sowohl nach ihrer absoluten Höhe als auch nach ihrem relativen Anteil an den auf die Beigeladene entfallenden ungedeckten Kosten (11,3% von 1.400.198,85 €) objektiv ins Gewicht.
Die Entscheidung des VGH BW ist von grundsätzlicher Bedeutung, da sich vergleichbare Fallgestaltungen in einer Vielzahl von Baden-Württembergischen Kommunen ergeben; die Anwaltskanzlei Quaas & Partner berät weitere betroffene Kommunen. Im Einzelfall bedarf es der genauen Prüfung, ob die Entscheidung übertragbar ist oder nicht, etwa, weil es bestehende ältere öffentlich-rechtliche Vereinbarungen zu berücksichtigen gilt.
Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Moritz Quaas

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