Neue Entscheidung des VGH Baden-Württemberg zu abstandsflächenrechtlicher Privilegierung von Gebäudeaufstockungen nach § 5 Abs.5 Satz 2 LBO
Im Zusammenhang mit der Aufstockung eines bislang eingeschossigen, ca. 1,35 m bis 1,75 m von der Grenze entfernten und 1953 genehmigten Werkstattgebäudes, wurde eine Aufstockung um ein Geschoss (Nutzung als Hobbyraum) beantragt. Dagegen wurden vom unmittelbaren Nachbarn Einwendungen erhoben, die u.a. mit einem bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenverstoß begründet worden sind. Nach Erteilung der beantragten Baugenehmigung und der Zurückweisung des Widerspruchs wurde Klage erhoben, die das VG Sigmaringen unter Verweis auf § 5 Abs.5 Satz 2 LBO abgewiesen hat. Das VG urteilte dahingehend, dass die Aufstockung nach dieser Vorschrift nicht abstandspflichtig sei. Wegen angenommener grundsätzlicher Bedeutung hat das VG die Berufung zugelassen.
Mit Urteil vom 19.2.2025 – 8 S 937/23 – hat der VGH Baden-Württemberg die Berufung als unbegründet zurückgewiesen und folgende für die baurechtliche Praxis bedeutsame Überlegungen angestellt:
- § 5 Abs.5 Satz 2 LBO sei nicht nachbarschützend.
- § 5 Abs.7 LBO sei hingegen in vollem Umfang (wie bisher) nachbarschützend.
- Entschiedene Einzelheiten zu § 5 Abs.5 Satz 2 LBO:
- Keine Anrechnung auf die Wandhöhe.
- Vorschrift privilegiere Aufstockungen derart, dass diese nicht an abstandsflächenrechtlichen Voraussetzungen zu messen seien, weil sich durch sie kein für die Abstandsfläche maßgebliches Merkmal verändere (mit Verweis auf VGH Baden-Württemberg, Urt.v.13.11.2023 – 14 S 1161/23); die Norm sei als Nichtanrechnungsbestimmung gefasst.
- Abweichend von allgemeinen Grundsätzen finde keine abstandsflächenrechtliche Gesamtbetrachtung des Gebäudes in seiner geänderten Gestalt statt.
- Es gebe keine Beschränkung der Aufstockung auf den vorhandenen Nutzungszweck.
- Die Vorschrift sei mit der Eigentumsgarantie des Art.14 GG vereinbar.
- Der Begriff der „Aufstockung um bis zu zwei Geschosse“ sei hinreichend bestimmt. Als unbestimmter Rechtsbegriff genüge er diesen Anforderungen, obwohl er weder in der LBO noch einer anderen Norm definiert ist.
- Es sei möglich, dass Aufstockungen mit Geschossen von erheblicher Höhe zulässig sind. Dies führe jedoch nicht dazu, dass die Norm „mangels Höhenbegrenzung unbestimmt“ und damit verfassungswidrig wäre.
- Es liege im konkreten Fall keine Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme vor; jedoch könne im Geltungsbereich von § 5 Abs.5 Satz 2 LBO nicht mehr argumentiert werden, dass das Rücksichtnahmegebot „zumindest aus tatsächlichen Gründen“ im Regelfall nicht verletzt sei, wenn die Abstandsvorschriften eingehalten sind.
Das Urteil des VGH legt die Vorschrift des § 5 Abs.5 Satz 2 LBO sehr weit aus und ist für Bauherren und Behörden vorteilhaft und praxistauglich – für Nachbarn aber nachteilig. Die These „Nachverdichtung schlägt Nachbarrechte“ (Kukk/Riehle, VBlBW 2024, 8 ff.) wird vom VGH nachdrücklich bestätigt. Durch die seit 23.06.2025 anwendbare Novelle der LBO ändern sich aber Inhalt und Reichweite der Vorschrift. Neu ist, dass alle Maßnahmen nach § 5 Abs. 5 Satz 2 Nr.1 LBO der Schaffung oder Erweiterung von Wohnraum dienen müssen. Die bisherige Nutzungsneutralität ist damit weggefallen.
Dipl.-Verwaltungswirt (FH) Günther Riehle, Rechtsanwalt Prof. Dr. Alexander Kukk