Gesetz zur Digitalisierung baurechtlicher Verfahren in Baden-Württemberg in Kraft – Einschränkungen zulasten von Gemeinden und Nachbarn

Am 25.11.2023 (GBl. 2023, 422) trat das „Gesetz zur Digitalisierung baurechtlicher Verfahren“ in Kraft. Die Digitalisierung geht einher mit dem Zurückdrängen des Einflusses von Gemeinden und Nachbarn auf das Baugenehmigungsverfahren:

1. Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 bis 3 LBO werden künftig (Bau-)Anträge bei der Baurechtsbehörde und nicht mehr bei der Gemeinde eingereicht. Die Baurechtsbehörde stellt zwar nunmehr die Anträge für die Gemeinde unverzüglich bereit. Eine Eigeninitiative der Gemeinde ist nicht mehr vorgesehen. Die Verfahrensherrschaft liegt bei der Baurechtebehörde. Die Gemeinden, die nicht selbst Baurechtsbehörde sind, werden so einerseits von der Verantwortung der Prüfung, Weiterleitung und Benachrichtigung von Angrenzern und weiteren Nachbarn entlastet. Andererseits werden diese Gemeinen die Ausübung der kommunalen Planungshoheit bewusster als bisher wahrnehmen müssen, da ihnen die bisherige Verantwortung für den Bauantrag genommen wird. Warum die Neuregelung die bislang „automatisch“ involvierten Gemeinden so aus dem Baugenehmigungsverfahren hinausdrängt, bleibt unklar.

2. Der Bauantrag wird nach § 53 Abs. 2 LBO nur noch „elektronisch in Textform nach § 126b des Bürgerlichen Gesetzbuches“ gestellt. § 3 Abs. 2 Satz 1 LBOVVO konkretisiert dies auf das Format „PDF/A“. Nach Satz 2 kann die Baurechtsbehörde die Einreichung sogar „über einen von ihr benannten Onlinedienst“ verlangen. Zudem sind nach § 53 Abs. 1 Satz 3 LBO Abweichungen, Ausnahmen und Befreiungen gesondert zu beantragen. Es fragt sich, was gelten soll, wenn diese gesonderten Anträge „vergessen“ wurden, da sie bislang als mitbeantragt galten. Auch die Bauvoranfrage ist nach § 57 Abs. 1 Satz 1 LBO nur noch „elektronisch in Textform“ möglich.
Die Anträge auf Teilbaugenehmigung, Verlängerung der Geltungsdauer der Baugenehmigung oder (Teil-)Bauabnahme u.a. müssen nach §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 62 Abs. 2 Satz 1 und 67 Abs. 2 Satz 2 LBO ebenfalls elektronisch erfolgen.

3. Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 LBO erfolgt eine Angrenzerbenachrichtigung durch die Gemeinde nur noch bei Abweichungen vom geltenden Baurecht und nur noch auf Veranlassung und nach Maßgabe der Baurechtsbehörde. Eine Benachrichtigung sonstiger Nachbarn ist vor Genehmigungserteilung gar nicht mehr vorgesehen. Die Gemeinde kann eine Zustellung wie bisher oder eine sonstige Benachrichtigung entsprechend § 9 Abs. 1 Onlinezugangsgesetz durchführen. Nach dieser Vorschrift kann mit „Einwilligung“ des Nutzers dadurch bekannt gegeben werden, dass die Benachrichtigung vom Nutzer oder seinem Bevollmächtigten über öffentlich zugängliche Netze von dessen Postfach, das Bestandteil seines Nutzerkontos ist, abgerufen wird. Die Benachrichtigung gilt schon am dritten Tag nach der Bereitstellung zum Abruf als bekannt gegeben – ohne Rücksicht auf tatsächlichen Abruf oder gar Kenntnis. Überraschungen kann es künftig also nicht mehr nur geben, wenn man geplant abwesend (Urlaub, Krankenhaus) ist und niemanden seinen Briefkasten leeren lässt, sondern auch dann, wenn man die – geheimen und niemandem weiterzugebenden – Daten seines „Bürgerkontos“ im Sinne des Onlinezugangsgesetzes keinem Dritten überlassen oder weiterleiten möchte.
Einwendungen sind gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 LBO künftig „bei der Gemeinde elektronisch in Textform oder zur Niederschrift vorzubringen“. Ob „elektronisch in Textform“ dasselbe ist wie in §§ 53 Abs. 2, 58 Abs. 1 Satz 3 LBO „elektronisch in Textform nach § 126b des Bürgerlichen Gesetzbuchs“, bleibt offen. Die unterschiedliche Formulierung legt nahe, dass auch Unterschiedliches gemeint ist. Schriftliche Einsendungen schließt der Gesetzgeber jedenfalls mangels elektronischer Form aus. Bloße eMails sind mangels Zugangsnachweis nicht empfehlenswert; sie sollten zumindest durch Computer-Fax mit Zugangsnachweis begleitet werden, weil die strenge materielle Präklusion weiterhin gilt. Gegenläufig zum Gesetzeszweck ist mit einer Zunahme der Einwendungserhebung zur Niederschrift zu rechnen. 

4. Bauvorbescheid und Baugenehmigung finden neue Formen. Der Bauvorbescheid wird in § 57 Abs. 1 Satz 1 LBO neu als elektronisch in Textform zu erteilender Verwaltungsakt definiert. Bei der Baugenehmigung und ihrer Bekanntgabe hat die Baurechtsbehörde nach § 58 Abs. 1 Satz 3 bzw. Satz 6 und 7 LBO noch die Wahl. Allerdings müssen die Baurechtsbehörden gemäß § 58 Abs. 1 Satz 7 LBO die Baugenehmigung nunmehr auch solchen Angrenzern und sonstigen Nachbarn zustellen, deren öffentlich-rechtlich geschützte nachbarliche Belange durch das Vorhaben berührt sei können – diese zu ermitteln ist nun ebenfalls Aufgabe der Baurechtsbehörde.
Auch der Baufreigabeschein ist nur noch bekanntzugeben und nicht mehr zuzustellen. Keine Regelung findet sich dazu, wie der elektronische Verwaltungsakt in Erfüllung der Pflicht zum Aushang auf der Baustelle nach § 12 Abs. 2 Satz 1 LBO angebracht werden soll.

5. Das Übergangsrecht des neuen § 77 Abs. 5 LBO ermöglicht weiterhin das Einreichen von Anträgen in Textform (schriftlich auf Papier) bis zum 31.12.2024. Dies gilt aber nur, wenn die Baurechtsbehörde nicht vorher nach Satz 2 die elektronische Einreichung von Bauanträgen und Bauvorlagen verlangt.

Fazit: Die Digitalisierung bauaufsichtlicher Verfahren wäre grundsätzlich zu begrüßen, würde sie nicht „bei dieser Gelegenheit“ die Mitwirkung der Gemeinden zulasten der verfassungsrechtlich geschützten Planungshoheit beschränken und Nachbarrechte beschneiden. Da den im Verfahren zurückgedrängten Angrenzern und Nachbarn nach Erteilung der Baugenehmigung im Rahmen der Widerspruchsbefugnis weiterhin Rechtschutz zusteht, ist eher eine Verlängerung von Verfahren zu befürchten, insbesondere wenn es der Baurechtsbehörde nicht zuverlässig möglich war, die Rechtsbetroffenheit von Angrenzern und Nachbarn (oder banaler: deren Adresse) für die Bekanntgabe der Baugenehmigung zuverlässig zu klären. Zudem leidet die Gesetzesänderung an handwerklichen Fehlern etwa zum Begriff der Textform. Schließlich bleibt unklar, woher die Baurechtsbehörden die Ressourcen für die Umsetzung der neuen Aufgaben nehmen sollen.
Ihr Ansprechpartner: RA Prof. Dr. Alexander Kukk, Stuttgart

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