Weitere Novelle der LBO Baden-Württemberg: gleiche Ziele, andere Mittel?

Kaum 8 Monate nach der letzten LBO-Reform in Baden-Württemberg mit dem „Gesetz zur Digitalisierung baurechtlicher Verfahren“ vom 25.11.2023 (GBl. 2023, 422,. Quaas & Partner News vom 05.12.2023) hat das Landeskabinett am 23.07.2024 einen weiteren Entwurf zur LBO-Reform beschlossen. Er befindet sich unter dem Titel „Schnelleres Bauen“ derzeit in der letzten Phase der Online-Beteiligung im Beteiligungsportal. Vorrangige Ziele sind die Erleichterung insbesondere des Wohnbaus durch Beschleunigung baurechtlicher Verfahren durch Verfahrensvereinfachung und die Verringerung baulicher Standards bei gleichzeitigem Ausbau erneuerbarer Energien. Zudem wird die LBO AVO abgeschafft, wobei zahlreiche Brandschutzvorschriften als §§ 27a bis f bzw. 28a bis d LBO in die LBO eingefügt werden.

Kernstück des Entwurfs zur Umsetzung sind vor allem eine Erweiterung des Katalogs verfahrensfreier Vorhaben, die Ausweitung des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens auf sämtliche Vorhaben mit Ausnahme der Sonderbauten und die Verkürzung der Angrenzereinwendungsfrist auf zwei Wochen – nachdem eine Angrenzeranhörung gemäß § 55 Abs. 1 LBO schon seit der letzten Novellierung nur noch bei Abweichungen, Ausnahmen oder Befreiungen erforderlich ist. Zudem soll ein neuer § 58 Abs. 1a LBO für das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren nur noch eine „Genehmigungsfiktion“ vorsehen. Ihr unterfallen Abweichungen, Ausnahmen und Befreiungen nur, wenn sie beantragt wurden. Das klassische Baugenehmigungsverfahren mit Baugenehmigungsurkunde soll es nur noch bei Sonderbauten geben. Die Zustellung einer Baugenehmigung erfolgt zwingend nur noch an Angrenzer, deren Einwendungen nicht umgesetzt wurden. Im Übrigen ist die Online-Bekanntgabe an sonstige Nachbarn nur noch eine Sollvorschrift, wenn deren öffentlich-rechtlich geschützte Belange durch das Vorhaben berührt sein können. Darüber hinaus soll über § 15 AGVwGO das Widerspruchsverfahren (Vorverfahren) „in Angelegenheiten nach der Landesbauordnung und nach dem Denkmalschutzgesetz“ abgeschafft werden. Im Abstandsflächenrecht kommt es zu verschiedenen Anpassungen und Privilegierungen u. a. von Solarzellennutzung und nachträglicher Dämmung auf den Dächern. Geregelt werden soll ferner eine künftige Zulässigkeit der Nutzung der Dachfläche privilegierter Grenzbauten, sodass auf einer privilegierten Grenzgarage Dachterrassen entstehen dürfen, obwohl sie Auswirkungen auf Nachbargrundstücke haben können. In § 56 Abs. 2 Nr. 5 LBO wird ein neuer Abweichungstatbestand geschaffen, um die Nutzungsänderung des baulichen Bestandes ohne Abstandspflichten zu ermöglichen. § 62 Abs. 3 LBO soll das Erlöschen einer Baugenehmigung für eine Tierhaltungsanlage im Sinne der früheren GIRL (Anhang 7 der TA-Luft) nach mehr als 6 Jahren durchgehender Nutzungsunterbrechung regeln. Tiefgreifende Änderungen finden sich in §§ 63 bis 63e LBO zur Bauvorlagenberechtigung mit Blick auf die Anpassung an EU-Vorschriften. § 68 LBO soll die Typengenehmigung in die LBO als Grundlage für serielles Bauen aufnehmen, die alle standortunabhängigen Anforderungen an bauliche Anlagen umfassen soll. § 76 Abs. 1 LBO soll erstmals eine förmliche Regelung des Bestandschutzes baulicher Anlagen enthalten, die bislang nur Gegenstand der Rechtsprechung ist. Zudem werden die Qualifikationen im Baurechtsamt geregelt: Gemäß dem künftigen § 46 Abs. 4 Satz 2 LBO soll den unteren Baurechtsbehörden mindestens ein Beamter mit Befähigung zum höheren bautechnischen Verwaltungsdienst und Kenntnissen der Bautechnik, der Baugestaltung und des öffentlichen Baurechts und ein weiterer Beamter mit Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst angehören.

Aus der anwaltlichen Perspektive sind einige gute Vorschläge enthalten (serielles Bauen, Bestandsschutz, Zusammenfassung verstreuter Regelungen). Wichtige Teile der Novelle vor allem beim Thema Rechtsschutz, insbesondere durch Dritte, sind aber angesichts des Ziels der Beschleunigung und Vereinfachung kritisch zu sehen: Das Kenntnisgabeverfahren hat sich über viele Jahre nicht durchgesetzt, weil es keine Baugenehmigungsurkunde gibt, was mit zunehmendem Zeitablauf zu Rechtsunsicherheiten führt. Nun eine vergleichbare bloße Genehmigungsfiktion für alle Vorhaben außer Sonderbauten vorzuschreiben, jedoch ohne Lösung für die längst bekannte Problematik, verlagert und verkompliziert die Arbeit der Baurechtsbehörden nur. Die Rückkehr zu der sehr kurzen, nur zweiwöchigen Angrenzereinwendungsfrist verursacht voraussichtlich mehr Wiedereinsetzungsanträge, die letztlich zu Verzögerungen führen können. Dabei ist die Möglichkeit, überhaupt nach Benachrichtigung Einwendungen erheben zu können, schon jetzt marginalisiert und Auseinandersetzungen um die Rechtmäßigkeit von Vorhaben auf Rechtsbehelfsverfahren verschoben. Angrenzer und Nachbarn erfahren von der Genehmigungsfiktion nichts. Ihnen wird nach § 42a Abs. 3 LVwVfG lediglich auf Verlangen der Eintritt der Genehmigungsfiktion bescheinigt. Hinzu kommt die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens: Anstatt klare und eindeutige Rechtsverhältnisse zu schaffen, droht die Summe dieser Änderungen, zu mehr und längeren, zudem zu sehr viel später begonnenen Verfahren bei den Gerichten mit längerer Rechtsunsicherheit für die Bauherrschaft zu führen. Ferner bleibt offen, wie die Anforderungen an die Qualifizierung der Mitarbeitenden des Baurechtsamts angesichts der heutigen Probleme bei der Besetzung von Baurechtsämtern nach der langen Übergangsfrist (§ 77 Abs. 6 LBO neu: bis 31.12.2033) in die Praxis umgesetzt werden sollen. Dadurch sind künftig noch mehr Stellenvakanzen zu befürchten. Wir werden über den Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens berichten.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Alexander Kukk, Stuttgart

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